30. Januar 2015

Praktikum in einem Asylheim

»In meinem früheren Beruf hatte ich nie das Gefühl, etwas so Wichtiges und Wertvolles gemacht zu haben.«

Benjamin Krügel, gerade in seinem zweiten Ausbildungsjahr zum Sozialassistenten,

Asylheim_Beitrag_Blogabsolviert zurzeit ein Praktikum im Kinder- und Jugendbereich einer Erstaufnahme-einrichtung für Flüchtlinge und Asylbewerber. Er nutzt hier die Möglichkeit, viele neue, auch persönlich bewegende Erfahrungen zu machen und hat sich – zu unserem Glück – bereit erklärt, einige seiner Erfahrungen mit uns in Form eines E-Mail-Interviews zu teilen.

Was Benjamin Krügel in seinem Praktikum tut, wie er die Situation vieler Flüchtlinge aus seiner Perspektive als Begleiter und Betreuer einschätzt und was er den Pegidas, Legidas und den anderen Gidas gerne sagen würde, das können Sie hier lesen:

Mögen Sie kurz beschreiben, mit welchen Erwartungen Sie in das Praktikum gegangen sind und einen Grund für die Auswahl dieses Praxisplatzes nennen?

Bis vor kurzem habe ich mich so gut wie gar nicht mit den Themen ›Asyl und Flüchtlinge‹ beschäftigt. Es hat mich nicht interessiert, weil ich dachte, dass es mich eh nichts angeht. Erst eine Folge ›Die Anstalt‹, die sich eine ganze Sendung lang mit dem Thema beschäftigt, hat mich aus meinem politischem Winterschlaf geweckt. Für mich war diese Folge wie ein Schlag ins Gesicht. Ich hab mich tierisch aufgeregt und auch geschämt für die politische und menschliche Inkompetenz unseres Landes. Auch weil ich bis dato selbst faul und uninteressiert war.

Aber nur zu Hause auf der Couch sitzen und meckern hat noch nie was geändert. Ich wollte politisch aktiv werden. Aber wie? Mit meinen zwei kleinen Kindern (eines davon noch ein Säugling), kann ich abends nicht auf Demos gehen. Und es gibt auch keine Partei, die mir sympathisch genug ist, um dort Mitglied zu werden. Als ich erfuhr, dass es in den Asylheimen einen großen Mangel an Personal, besonders in der Kinderbetreuung gibt, wusste ich, wo ich mein nächstes Praktikum mache. Das war meine Chance mir eine eigene (nicht durch Medien verwässerte) Meinung zu bilden.

Wie viele Kinder- und Jugendliche betreuen Sie und woher kommen die Menschen, die Sie betreuen?

Ich arbeite in der Erstaufnahmestation für Flüchtlinge und Asylbewerber. Das heißt, alle kommen erst mal zu uns und werden in der Regel nach drei bis sechs Monaten auf die anderen Heime verteilt. Im Moment wohnen bei uns ca. 560 Menschen darunter ca. 80 Kinder und Jugendliche. Wir haben ca. 30 Mitarbeiter, darunter fünf Betreuer im Kinder- Jugendbereich (mich eingeschlossen). Die meisten Menschen kommen aus dem Kosovo, Serbien und Syrien. Aber auch Afghanistan, Pakistan, Vietnam, Bosnien und dem Irak. Aber diese Zahlen ändern sich wöchentlich.

Bitte beschreiben Sie die Aufgaben, die Sie in Ihrem Praktikum übernehmen.

Hauptsächlich gebe ich vormittags Deutschunterricht für 8 – 18 Jährige. Und nachmittags mache ich einen Mix aus Nachhilfe, Freizeitbeschäftigung und stehe als allgemeiner Ansprechpartner für alle zur Verfügung, denn auch viele Eltern der Kinder verbringen ihre Zeit in unserem Bereich. Mein Praxisanleiter, der die administrativen Aufgaben dort übernimmt, sagte mir, nachdem ich ihn fälschlicher Weise mit Chef‹ angesprochen hatte, wir seien eine Demokratie. Und genau so gestaltet sich die Arbeitsteilung. Wir haben zwei Klassenräume, einen Doppel-Raum für Kleinkinder, einen Raum mit Kickertisch und Couch, einen Sport- und Fernsehraum und einen Freizeit- und Kreativraum. Jeder Mitarbeiter kann nach Belieben einen Raum öffnen und dort Aktivitäten anbieten.

Wir sind Kindergärtner, Seelsorger, Sozialarbeiter, Deutschlehrer und manchmal ein bisschen Hausmeister.

Wahrscheinlich gibt es immer wieder sprachliche Hürden, oder?

Ja. Bis jetzt habe ich nur eine Bewohnerin getroffen, die Deutsch in ganzen Sätzen spricht. Einige sprechen ein wenig Deutsch oder Englisch. Doch die meisten sprechen ausschließlich ihre Muttersprache. Es gibt auch nicht wenige Bewohner, die darüber hinaus weder lesen noch schreiben können.

Verraten Sie uns Ihre Geheimtipps zu Kommunikation? Wie kann man kommunizieren, wenn man ausschließlich unterschiedliche Sprachen spricht?

Ein Wörterbuch oder eine entsprechende App sind natürlich unabdingbar. Man sollte soviel Mimik und Gestik verwenden wie möglich. Dabei darf auch gern übertrieben werden. Und beim Reden sollte man sich auf Substantive, Verben und Adjektive beschränken. Artikel, Pronomen und Konjunktionen können das Verstehen erschweren. Also nicht: »Geh mal bitte ins Büro.« Sondern: »Du gehen Büro.« Dabei zeige ich bei dem Wort ›Du‹ auf die Person und bei ›gehen‹ mache ich eine Laufbewegung mit Zeige- und Mittelfinger auf der flachen Hand.

Ja, ich weiß, Sprachexperten sagen, man soll ganze Sätze benutzen damit die Sprache nicht falsch gelernt wird. Und im Deutschunterricht machen wir das auch so. Aber oft hat man keine andere Wahl.

Würden Sie uns Ihr  bisher schönstes Erlebnis im Praktikum schildern?

Eines Abends schenkte ich einem zwölfjährigen albanischen Mädchen ein paar alte Mathebücher der fünften und sechsten Klasse, ein kariertes Rechenheft und einen Bleistift. Ich hatte die Tage zuvor mitbekommen, dass sie gerne rechnet. Am nächsten Tag kam sie dann ganz früh in unsere Räume und drückte mir sehr aufgeregt das Rechenheft in die Hand. Es stellte sich dann heraus, dass sie über drei Stunden vor den Büchern gesessen hatte und fast sieben DIN A-4 Seiten komplett voll geschrieben hatte. Zum Spaß! Da musste ich mir schon eine kleine Träne verkneifen.

Bitte stellen Sie uns ganz kurz Ihr Team vor.

Unser Team im Kinder- und Jugendbereich besteht aus den beiden Sozialarbeitern Stefan (29) und Miriam (27), sie haben Soziologie und Sozialpädagogik studiert. Außerdem ist da noch Soraya (37), die als Erzieherin hauptsächlich die Kleinkinder betreut und Pedro (34), unser Sprachlehrer. Er bietet Deutsch- und Musikkurse an und macht viel Jugend-betreuung.

Können Sie sich vorstellen, nach Ihrer Ausbildung in dieser Einrichtung zu arbeiten?

Ja, absolut. Ich kann leider nicht richtig sagen, was der genaue Grund für meine Sympathie für diesen Arbeitsplatz ist. Manchmal hat man einfach Glück im Leben und es passt wie die Faust auf‘s Auge. Und trotz des Stresses fühle ich mich nach dem Feierabend richtig zufrieden (an einigen Tagen fühlt man sich wie in einem Ameisenhaufen, nur dass Ameisen wissen, was sie zu tun haben…). In meinem früheren Beruf in der Laufbahn als Koch hatte ich nie das Gefühl, etwas so Wichtiges und Wertvolles gemacht zu haben.

Sie haben eine Innenperspektive auf die Menschen und die Sorgen und Nöte in einer Erstaufnahmeeinrichtung…

…Was brauchen die Menschen dort in Ihren Augen am Nötigsten?

Als Allererstes brauchen die Menschen dort andere Menschen, die sich für sie interessieren. Nicht nur Sozialarbeiter und Kindergärtner. Auch Ehrenamtliche. Können Sie eine Sportart, Musik, Oder eine Fremdsprache unterrichten? Können Sie Syrisch, Albanisch, Arabisch etc. dolmetschen? Kommen Sie vorbei und bieten Sie Ihre Dienste an.

 …Wie können Menschen helfen, die nicht so nah dran sind wie Sie gerade?

 In der Einrichtung gibt es einen großen Bedarf an allem, was man im Alltag braucht: Hygieneartikel (z.B. Seife, Shampoo, Deo, Zahnbürsten), Kleidung und Schuhe, Lebensmittel, Schulsachen… Wenn Sie eine Autorität in einer Institution sind, also zum Beispiel der ChefIn einer Firma, LehrerIn einer Schule oder Vorsitzende eines Vereins, starten Sie eine Spendensammlung, rufen Sie in einem Asylheim in ihrer Nähe an und bringen Sie das Zeug vorbei.

Was nehmen Sie aus dem Praktikum (positiv  wie auch negativ) mit?

Was einem gleich negativ auffällt, wenn man in unsere Einrichtung kommt, ist der miserable Zustand. An allen Ecken und Enden mangelt es an Hygiene und Instandhaltung. Immer wieder erzählen mir die Mitarbeiter von der Agonie der zuständigen Behörden. Einige mutmaßen sogar, dass die Ressourcen bewusst von der Politik zurück gehalten werden. In Bayern waren die Asylheime bis vor kurzem ja noch dazu angehalten, den Flüchtlingen einen rüden Empfang zu bereiten, damit diese so schnell wie möglich freiwillig wieder gehen.

An dieser Stelle muss ich echt mal meine Bewunderung für die Mitarbeiter aussprechen: Ich finde es sehr beeindruckend mit wie viel Hingabe und Courage viele ihren Job machen – trotz der stetigen Frustration, die sie jeden Tag erleben. Ich vergleiche sie gerne mit der Rebellen-Allianz die gegen das Imperium kämpft. Möge die Macht mit euch sein.

Was würden Sie angesichts Ihrer neuen Erfahrungen zu einer Gruppe von Pegida-Anhängern sagen, wenn Sie die Gelegenheit hätten, vor ihnen zu sprechen?

Haha (böses Lachen). So vieles könnte ich denen erzählen. Da bei Pegida-Demos ja nicht nur intelligente, politisch gebildete und ernsthaft besorgte Bürger, sondern auch dumme, gröhlende, Stinkefinger-zeigende Nazis mit steifem Arm mitlaufen, müsste ich eigentlich eine Klopapier-lange Liste von Argumenten niederschreiben. Ein Argument liegt mir aber besonders am Herzen: Evolution, Fortschritt und die damit verbundenen Veränderungen lassen sich nicht aufhalten. Menschen haben schon immer ihre Heimat verlassen und Staatsgrenzen überschritten, um irgendwo anders ihr Glück zu suchen. Besonders in den letzten hundert Jahren hat die Geschwindigkeit, mit der sich unsre Welt verändert, rapide zugenommen. Wer an einem Computer mit Internetanschluss sitzt, kann sich in Sekundenschnelle beinahe jede Information besorgen. Für ca. 300 € kann man ans andere Ende der Welt fliegen. Ob es einem passt oder nicht, die Globalisierung ist nicht mehr aufzuhalten. Führende Ethnologen sagen, dass es in zweihundert Jahren kaum noch markante körperliche Unterschiede von ethnischen Gruppen geben wird. Die gesamte Menschheit wird eine milchkaffebraune Hautfarbe haben. Und jeder, der Medien aus den USA, Smartphones aus China und Kleidung aus Bangladesh konsumiert, trägt seinen Teil bei. Und das ist im Endeffekt jeder. Wer sich hier dagegenstellt, der versucht einen Staudamm zu errichten und ertrinkt dabei!

 

 

Die veröffentlichten Beiträge aus Interviews spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Campus-Berlin-Blog-Redaktion, sondern geben die Auffassung des jeweiligen Interview-Partners wieder.

 

Hier zwei weiterführende Links zum Thema:

Neue Zahlen des Bundesinnenministeriums können helfen, mit Vorurteilen aufzuräumen: Die Mehrheit der Asylbewerber in Deutschland sind übrigens gar keine Wirtschaftsflüchtlinge. Die Zahlen belegen auch, dass Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Eltern geflüchtet sind, ganz besonders lange auf ihren Asylbescheid warten müssen.

Faktencheck und Stoff zur Anreicherung leidiger Diskussionen: Hier gibt es eine Broschüre mit Fakten und Argumenten über Flüchtlinge in Deutschland und Europa.